Das I-Wort

Warum hast du von Winnetou gehört, aber nicht von Goyáálé/Geronimo?

Woher kommt die rassistische Fremdbezeichnung für Menschen, die schon lange bevor Kolumbus mit der Kolonisierung Amerikas begann dort lebten?

Die Fremdbezeichnung („I.“) für die ersten Bewohner_innen Nord- und Südamerikas bzw. Abya Yalas* ist ein Fantasiekonstrukt, das durch Romane und Westernfilme (z.B. ausgedachte Figuren wie in ‘Winnetou’ oder ‘Der Schuh des Manitou’), aber auch durch Wörterbucheinträge geprägt wurde. Eigentlich beruht der Begriff auf einem Irrtum von Christopher Kolumbus: Als er 1492 auf der Suche nach einem Seeweg nach Ostasien war und auf die Insel Ayití stieß, nahm er an, er wäre in Indien, und bezeichnete alle dort lebenden Menschen als „I.“. Dadurch, dass der Begriff bis heute weiter verwendet wird, wird einerseits dieser europäische Irrtum und sein kolonialer Kontext gerechtfertigt, andererseits wird so getan, als könnten alle unterschiedlichen Gesellschaften, die schon seit mindestens 12500 Jahren auf dem Kontinent lebten, einfach unter einem ausgedachten Begriff zusammengefasst und damit alle Selbstbezeichnungen der Menschen ignoriert werden. Gleichzeitig wird, z.B. in den Romanen des Sachsen Karl May, dessen Hauptfiguren allein seiner Fantasie entsprangen, der Widerstand gegen die gewaltsame Unterdrückung und Kolonisierung durch Europäer_innen verschwiegen und relativiert. So werden dort Widerstandskämpfer_innen wie Goyáálé/Geronimo nicht erwähnt, die sich gegen Verfolgung, Ermordung und Enteignung durch weiße wehrten. So wird den Erstbewohner_innen des Kontinents auch der Anspruch auf dessen Entdeckung  abgesprochen, da ignoriert wird, dass Erstbewohner_innen auch vor der Ankunft Kolumbus’ und der gewaltsamen Kolonisierung von Menschen und Ländern schon dort lebten und selbstgewählte Namen hatten; stattdessen wird so getan, als ob die Geschichte der ersten Bewohner_innen erst mit der Ankunft der Europäer_innen beginnt.

Der Begriff wird als Projektionsfläche für koloniale Fantasien genutzt, die in vielen (Kinder-)Filmen, Karnevalsverkleidung und Büchern ausgelebt werden. Auch in aktuellen Wörterbüchern (z.B. der Duden), die den Begriff „I.“ erwähnen, werden angebliche körperliche Merkmale betont, die an biologistische ‘Rasse’vorstellungen anknüpfen. Es handelt sich also um ein koloniales Konstrukt und eine rassistische Bezeichnung, die unterschiedliche Gruppen künstlich zusammenfasst, also homogenisiert, und dafür eine rassistische Fremdbezeichnung verwendet, die auf einem europäischen Irrtum beruht. Deshalb sollte komplett auf den Begriff verzichtet werden, stattdessen können Eigenbezeichnungen der verschiedenen Gruppen benutzt werden.

*eine Bezeichnung für den Kontinent die schon vor der Kolonisierung durch Europäer_innen von Erstbewohner_innen verwendet wurde ist Abya Yala

Literatur:  

Adibeli Nduka-Agwu (2010): „I._in“. In: Nduka-Agwu/Hornscheidt (Hrsg.): Rassismus auf gut Deutsch. Ein kritisches Nachschlagewerk zu rassistischen Sprachhandlungen. Frankfurt a. M., 140-145.