Rassismus- und Sexismuskritik an Werbeplakaten – Ein Brief an REWE

Abs.:
EDEWA –
Einkaufsgenossenschaft antirassistischen Widerstandes
c/o Natasha A. Kelly
Postfach 61 31 37
10942 Berlin

An
REWE Markt GmbH
Domstraße 20
50668 Köln

Berlin, den 13.10.2015

Betreff: Rassismus- und Sexismuskritik an Ihrer aktuellen Werbeplakatkampagne

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir wenden uns an Sie bzgl. Ihrer vor einigen Wochen gestarteten (Plakat-)Werbekampagne, in der Sie sich rassistischen und sexistischen Stereotypen bedienen, um für Ihren Lieferservice zu werben. Wir sprechen uns gegen die gewählte Form und Inhalte dieser Werbung aus, da durch die Plakataktion eine ungehinderte Verbreitung von gewaltvollen Stereotypen stattfindet. Wir fordern von Ihnen eine Beendigung der aktuellen Werbeaktion.

In Ihrer Werbekampagne verwenden Sie die rassistische Fremdbezeichnung und Fremddarstellung für die ersten Bewohner_innen in den Amerikas. Die Bezeichnung I. ist ein Fantasiekonstrukt, das durch Romane und Westernfilme (z.B. imaginäre Figuren wie ‘Winnetou’), aber auch durch Wörterbucheinträge geprägt und verbreitet wurde. Eigentlich beruht der Begriff auf einem „Irrtum“ von Christopher Kolumbus: Als er 1492 auf der Suche nach einem Seeweg nach Ostasien war und auf die Insel Ayití stieß, nahm er an, er wäre in Indien, und bezeichnete alle dort lebenden Menschen als „I.“. Dadurch, dass der Begriff bis heute weiter unreflektiert verwendet wird, wird einerseits dieser europäische Irrtum und sein kolonialer Kontext von Eroberung und Unterdrückung gerechtfertigt, andererseits wird so getan, als könnten alle indigenen Völker, die schon seit mindestens 12.500 Jahren auf dem Kontinent leben, einfach unter einem ausgedachten Begriff fremdbezeichnet und fremdbestimmt und damit ihrer Selbstbezeichnungen beraubt werden. Siehe dazu: http://www.edewa.info/stellungnahmen/begriffsgeschichten/das-i-wort/

Der Begriff wird heute als Projektionsfläche für koloniale Fantasien genutzt, die in vielen (Kinder-)Filmen und Büchern ausgelebt werden – und eben auch in Werbekampagnen wie Ihrer. Auf dem Plakat sind weiße Frau und weißes Kind außerdem offensichtlich verkleidet – und praktizieren damit kulturelle Aneignung. Dabei handelt es sich um eine rassistische Praxis, die leider im Alltag immer noch häufig stattfindet und dabei nicht als Problem gesehen wird. Die Bedeutung des Kopfschmucks, wann, warum und wo er getragen wird, wird völlig ausgeblendet. Wie kann es sein, dass in der Werbung der Kopfschmuck ohne jeglichen historischen oder kulturellen Kontext verwendet wird? Steht REWE für konsumistische Ausbeutung durch die kulturelle Aneignung von Symbolen von Native/First Nation People? Wir würden eine kritische Auseinandersetzung mit den Eigenpositionen von Native und First Nation People vor solch einer Werbekampagne begrüßen. Die visuelle und textliche Aussage der Werbekampagne relativiert die Vielfältigkeit in den unterschiedlichen Lebensweisen der heterogen lebenden Gruppen von First Nation und Native Peoples, ebenso wie die Werbung die Kolonisierung durch weiße Europäer_innen aus dem Kontext der immer noch anhaltenden Kolonisierung hebt.

Darüber hinaus reproduziert Ihre Darstellung von der weißen Frau mit dem weißen Kind auf dem Arm, die offensichtlich für Kindererziehung und Einkauf zuständig ist, tradierte sexistische Bilder, die so ähnlich auch schon in den 1950ern vorzufinden waren. Im 21. Jahrhundert sind diese Rollenzuschreibungen obsolet; auch Männer sind an der Kindererziehung und Haushaltsführung beteiligt.

Über uns / ‘EDEWA – Einkaufsgenossenschaft antirassistischen Widerstandes’:

Mit unserer interaktiven Wanderausstellung ‘EDEWA – Einkaufsgenossenschaft antirassistischen Widerstandes’ sind wir seit 2012 unterwegs und thematisieren in Form eines antikolonialen Supermarktes die Geschichte und Gegenwart des deutschen Kolonialwarenhandels, Verstrickungen von Rassismen und Sexismen in Konsum und Vermarktung sowie den anhaltenden Widerstand dagegen. Unsere Grundannahme dabei ist, dass Rassismen und Sexismen, sowie andere Unterdrückungsformen uns täglich begegnen und häufig durch Sprache und Bilder, bewusst oder unbewusst, gewaltvoll reproduziert werden. Mit unserer Ausstellung verfolgen wir das Ziel, durch die Sichtbarmachung der gewalttätigen und diskriminierenden Gesellschaftsstrukturen den Alltagsrassismus in Deutschland offenzulegen, aber auch Strategien zu entwickeln, mit den eigenen Rassismen und Sexismen und den eigenen Rassismus- und Sexismuserfahrungen umzugehen. Über die Ausstellung hinaus beziehen wir auch in öffentlichen politischen Debatten Stellung und tragen somit zum Wandel der deutschen Handels-, Erinnerungs- und Geschichtspolitik bei.

Sowohl der Rassismus als auch der Sexismus in Ihrer Plakatkampagne ist absolut entbehrlich, und trägt zu einem negativen Image Ihres Unternehmens bei. Wir fordern Sie daher auf, die Werbekampgane umgehend zurückzuziehen und dazu Stellung zu beziehen. Über einen Dialog mit Ihnen würden wir uns freuen.

Mit freundlichen Grüßen

EDEWA Gruppe

PS: Dieser Briefwechsel wird von uns öffentlich geführt. Wir behalten uns vor, unser Schreiben sowie Ihre Antwort zu Zwecken der Dokumentation zu veröffentlichen.


Auf unser Schreiben vom 13.10.2015 erhielten wir die folgende Antwort von REWE:

Link zum Antwortschreiben von REWE