Ein Brief an EDEKA

Berlin, den 03.05.2012

An:

EDEKA- Zentrale AG & Co. KG
New- York- Ring 6
D- 22297 Hamburg

Abs.:

Humboldt Universität zu Berlin
Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien
Natasha A. Kelly (M.A.)
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Betreff: Intervention gegen rassistische Umbenennung von Lebensmitteln

Sehr geehrte Damen und Herren der EDEKA- Gesellschaft,

als Gruppe von Studierenden der Humboldt Universität zu Berlin planen wir im Rahmen eines Interventionsseminars eine Ausstellung im Sommer 2012, die sich der antirassistischen Arbeit in Vergangenheit und Gegenwart Deutschlands widmet. Unsere Projektgruppe setzt sich aus Menschen diverser sozial-politischer Positionen und Lebensrealitäten zusammen, die sich alle ihrer individuellen als auch sozialen Verantwortung, aktiv gegen Rassismus zu agieren, bewusst sind.

Im Rahmen unseres Projektes beschäftigen wir uns mit Rassismen bzw. rassistischen Fremdbezeichnungen im Alltag. Im Zuge diverser Recherchen sind wir in mehreren ihrer EDEKA-Filialen auf ein Produkt gestoßen, welches unsere Aufmerksamkeit im negativen Sinne erregt hat. Wir nehmen dies als Anlass, um uns mit diesem offenen Brief an Sie und Ihr Unternehmen zu wenden

In ihrem Süßwarensortiment (z. B. in der Filiale am Bahnhof Südkreuz, Berlin) sind u. a so genannte “Sonntagswaffeln” der Firma “Waffelbäckerei Walter Schuh” bzw. „Schuh’s Waffelspezialitäten“ zu finden. Diese neutrale Bezeichnung würde an sich kein Problem darstellen, hätte sich Ihr Unternehmen nicht dafür entschieden diese vom Hersteller bezeichneten Waffeln in ‘M’-Waffeln umzubennen. Wir kürzen hier „M.“ ab, da dieses Wort eine rassistische Fremdbezeichnung darstellt und verweisen zudem auf die öffentlich-politischen Interventionen gegen den Sarotti-Konzern aufgrund seines rassistischen Logos und der Logobezeichnung (gebr. bis 2004).

Produkt 'Sarotti-Schokolade' ©EDEWA
Produkt ‘Sarotti-Schokolade’ ©EDEWA

An diesem Punkt stellen wir uns die Frage, aus welchem Grund die eindeutig rassistisch konnotierte Fremdbezeichnung ’M.’ einerseits überhaupt noch verwendet wird und andererseits einer neutralen Produktbezeichnung vorgezogen wird?

Mit dem Begriff ‘M.’ bezeichneten weiße Menschen seit dem 17. Jahrhundert bis heute Schwarze Menschen, die überwiegend durch den deutschen Adel und zunehmend auch durch das deutsche Bürger_innentum versklavt wurden und in den deutschen Staaten lebten. „M.“ verkörperten – gerade weil sie fast ausschließlich als Diener oder Pagen arbeiten mussten – sowohl Prestige als auch Status der weißen Adligen. Der Name der Waffeln bezieht sich demnach auf die rassistische Fremdbezeichnung Schwarzer Menschen, welche sich während der Kolonialexpansion Deutschlands etablierte und das weiße Bürgertum aufwertete. Eine Hierarchisierung, die bis weit über den Kolonialismus hinaus getragen wurde. Diese Tatsache erscheint besonders in Anbetracht der Geschichte des EDEKA-Unternehmens erschreckend und perfide. Setzt sich doch der vollständige Name ihres Unternehmens aus den Worten “Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin” zusammen, was vermuten lässt, dass auch ihr Unternehmen eine koloniale Vergangenheit hat.

Auf Ihrer aufwändig gestalteten Internetpräsenz, die Ihre “Liebe zu Lebensmitteln” betont, wird dieser wichtige Abschnitt der Firmengeschichte – der ja den Beginn Ihres profitreichen Unternehmens markiert – gänzlich unterschlagen. Ihre selektive Geschichtsdarstellung gibt ein verzerrtes Bild der deutschen Imperial- und Kolonialpolitik wieder, die mit Repression, Gewalt und Ausbeutung einherging.

Mit diesem Verhalten negiert die EDEKA ihre Teilnahme an der deutschen kolonialen Repressionspolitik mit der Genozide (z. B. an den Nama und Herero), Versklavung von tausenden von Schwarzen Menschen sowie ökologische und ökonomische Ausbeutung der ehemaligen afrikanischen Gebiete des Deutschen Reiches bzw. Deutschlands einhergehen. Ein Verschweigen dieser historischen Fakten löscht die Vergangenheit nicht aus – im Gegenteil. Durch diese Haltung wird eine andauernde Kolonialität aufrechterhalten, welche durch rassistische Produktbezeichnungen zusätzlich bestärkt und legitimiert wird.

Produkt 'Imperial Deutscher Kolonialkaffee seit 1884' ©EDEWA
Produkt ‘Imperial Deutscher Kolonialkaffee seit 1884’ ©EDEWA

In Anbetracht Ihres postulierten Engagements im so genannten „Fairtrade“-Handel erachten wir es als Ihre sozialpolitische Verpflichtung und Verantwortung, als Unternehmen mit einer kolonialen Vergangenheit, öffentlich zu seiner Geschichte zu stehen und mit gutem Beispiel voranzugehen.

Es ist sowohl für kolonial- und rassismuskritische Bürger_innen Deutschlands erschreckend und ganz besonders für Schwarze Menschen und People of Color diskriminierend und verletzend, wenn Handelsketten wie die Ihre immer noch mit rassistischen Fremdbezeichnungen arbeiten und werben.

Der Begriff ‘M.’ ist absolut entbehrlich und sollte daher in keinem Kontext verwendet werden.

Wir verlangen daher das Verschwinden der Bezeichnung „’M.’-Waffeln“, da dies aus unserer Perspektive und politischen Positionierung eine alltägliche, öffentliche kolonialrassistische Kontingenz darstellt und wesentlich dazu beiträgt, Rassismen in der Gesellschaft zu reproduzieren. Gerade diese kolonialrassistische Kontinuität im deutschen Alltag möchten wir mit unserer Ausstellung aufzeigen, um sie in einem öffentlichen Diskurs – zu dem wir Sie gerne einladen – gemeinsam zu reflektieren und kritisch zu hinterfragen.

Wir würden es sehr begrüßen, wenn Sie sich auch über die Grenzen dieses Briefes hinaus für unser Interventionsprojekt und damit für eine kritische Reflexion der deutschen Kolonialgeschichte und alltäglicher Rassismen interessierten. Es wäre für EDEKA und seine Mitarbeiter_innen eine gute Chance sich dieser selbstkritischen Betrachtung zu stellen, um somit einen Beitrag zu einer rassismuskritischeren Wahrnehmung im Alltag zu leisten.

Es läge sehr in unserem Interesse, wenn Sie zu einem Dialog bereit wären, zu diesem Schreiben Stellung nehmen würden und darüber hinaus unseren oben genannten Forderungen nachkämen.

Mit freundlichem Gruß

Das „May- Ayim“- Interventionsprojekt